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Aufenthaltsbestimmungsrecht ist oft ein Streitpunkt

Trennen sich Eltern, so halten sich die gemeinsamen Kinder nach dieser Trennung im Regelfall bei einem Elternteil auf. Meist treffen die Eltern die Entscheidung darüber, bei welchem Elternteil die Kinder überwiegend leben, gemeinsam. Das tun sie im Rahmen der gemeinsamen elterlichen Sorge. Können sich Eltern jedoch nicht einigen, bei welchem Elternteil ein Kind oder mehrere Kinder leben sollen, kann ein Antrag bei Gericht gestellt werden, einem Elternteil das Aufenthaltsbestimmungsrecht zu übertragen. Das Aufenthaltsbestimmungsrecht ist ein Teil des elterlichen Sorgerechts, das einem Elternteil entzogen und dann auf den anderen Elternteil übertragen wird. Dieser Elternteil kann nach Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts dann alleine entscheiden, wo sich das Kind aufhalten will, sagt Regina Gerdom, Rechtsanwältin und Fachanwältin für Familienrecht in Lübbecke (Foto)

Ein Gericht, das über die Frage des Aufenthaltsbestimmungsrechts zu entscheiden hat, muss mehrere Aspekte in seinen Entscheidungsprozess einfließen lassen. Dies hat erst kürzlich das Brandenburgische Oberlandesgericht in einer Entscheidung (vom 30.10.2012, AZ: 9 UF 158/12) ausgeführt. Das Gericht hat angemerkt, dass das Aufenthaltsbestimmungsrecht neben der Festlegung des Lebensmittelpunktes des Kindes „in einem engen Zusammenhang mit anderen aus dem Personensorgerecht fließenden Rechten und Pflichten steht (z.B. Verknüpfung mit erzieherischen Absichten, Vorgabe von Ausgehzeiten, Mitwirkung in Vereinen, u.ä.).“ Diese Auswirkungen sind bei einer Entscheidung über das Aufenthaltsbestimmungsrecht mit zu berücksichtigen.

hallo lübbecke rechtstippIn dem Verfahren vor dem Brandenburgischen OLG stritten sich die Kindesmutter und der Kindesvater über die Frage, bei welchem Elternteil die beiden Töchter (12 und 7 Jahre alt) leben sollten. Beide Eltern gaben an, dass die Kinder den Wunsch geäußert hätten, bei ihnen leben zu können.

Das Brandenburgische OLG führte aus, die Frage des Aufenthaltsbestimmungsrechts sei „zentral am Kindeswohl zu messen“. Es seien hierbei mehrere Punkte zu beachten.

Zum einen gelte der Förderungsgrundsatz. Das Gericht hat also die „Eignung, die Bereitschaft und die Möglichkeit der Eltern zur Übernahme der für das Kindeswohl maßgeblichen Erziehung und Betreuung“ zu prüfen. Es muss also geprüft werden, ob der jeweilige Elternteil geeignet ist, das Kind zu erziehen und zu betreuen, ob dieses Elternteil zur Erziehung und Betreuung auch bereit ist und ob es die Möglichkeit hat, eine solche Erziehung und Betreuung z.B. neben einer Erwerbstätigkeit durchzuführen.

Weiterhin ist die Bindung des Kindes an die beiden Elternteile und an etwa vorhandene Geschwister zu beachten. Im vorliegenden Fall hatten die beiden Töchter eine sehr enge Bindung zueinander. Diese enge Bindung ergab sich aus Sicht des Gerichts nicht zuletzt daher, dass die beiden Schwestern eine sog. Notgemeinschaft gebildet hatten, da sich die Eltern über einen langen Zeitraum fortwährend und immer heftiger stritten. Die Kinder boten sich in dieser Situation gegenseitig Halt. Alle Verfahrensbeteiligten waren sich daher einig, dass eine Trennung der Geschwister unbedingt zu vermeiden war.

Aber auch der geäußerte Wille des Kindes ist beachtlich, denn nach Ansicht des Gerichts ist dies sowohl „der verbale Ausdruck für die relativ stärkste Personenbindung“, als auch „von einem gewissen Alter an ein Akt der Selbstbestimmung des Kindes“. Bei der Beurteilung eines Kindeswillens muss natürlich immer geprüft werden, ob das Kind insbesondere aufgrund seines Alters bereits „die verstandesmäßige und seelische Reife für eine tragfähige, selbstbestimmte und vernunftgeleitete Entscheidung über den Aufenthalt“ besitzt. So kann ein Kind durch die fortwährende Auseinandersetzung der Eltern über seinen Aufenthalt so massiv beeinflusst worden sein, dass seine Äußerungen nicht mehr als unvoreingenommen gewertet werden können. Auch ein Loyalitätskonflikt kann dazu führen, dass Äußerungen des Kindes keinem autonomen Willen entspringen. Dies hat ein Gericht bei seiner Entscheidung zu beachten.

Weiterhin spielt das Kontinuitätsprinzip bei der Entscheidung eine Rolle. Grundsätzlich ist eine kontinuierliche und ungebrochene Betreuung sowohl in räumlich-sozialer wie auch in schulischer Hinsicht eher zum Wohl des Kindes. Es ist also zu prüfen, ob ein räumlicher Wechsel mit dem einhergehenden Verlust des bekannten Umfeldes und einem eventuellen Schulwechsel das Kind so belasten würde, dass bereits aus diesem Grund die Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf den anderen Elternteil ausscheidet.

Ein weiteres wichtiges Kriterium ist die Bindungstoleranz der Elternteile dem jeweils anderen Elternteil gegenüber. Unter Bindungstoleranz versteht man die Fähigkeit der Eltern, bei einem Streit um das Sorgerecht den spannungsfreien Kontakt zum anderen Elternteil zuzulassen. Denn für die Entwicklung eines Kindes ist es von entscheidender Bedeutung, nach der Trennung seiner Eltern zu beiden Elternteilen Bindungen aufrecht zu erhalten. Zu fragen ist daher, ob der jeweilige Elternteil vorbehaltlos bereit ist, den persönlichen Umgang mit dem anderen Elternteil nicht nur angstfrei für das Kind zuzulassen, sondern das Kind hierzu gegebenenfalls auch in der pädagogisch geeigneten Form motiviert.

Die Bindungstoleranz kann in einem Sorgerechtsverfahren daher streitentscheidend sein, wenn beide Elternteile etwa gleich erziehungsfähig sind, die Bindungen des Kindes zu beiden Elternteilen gleich stark sind und auch der Kontinuitätsgrundsatz keine andere Entscheidung erfordert.

Im vorliegenden Fall, den das Brandenburgische Oberlandesgericht zu entscheiden hatte, ergab die ausführliche Abwägung aller oben genannten Kriterien durch das Gericht, dass dem Vater das Aufenthaltsbestimmungsrecht für beide Kinder zuzusprechen war.